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58° 52' 20'' N, 17° 33' 13'' E
Wenn die Vorräte zur Neige gehen, wenn frisches Obst und Gemüse fehlen, wenn die Milch für den Morgenkaffee rationiert werden muss, Haut und Haar nach warmem Wasser lechzen, Kleidung und Boot einen klebrigen Zustand annehmen, dann ist es Zeit für einen Hafen, für die nächste Stadt an der dünn besiedelten Küste Sörmlands. In den zwei skandinavischen Sommermonaten steigt die Einwohnerzahl allerdings um ein Vielfaches, und an manchen Stellen wähnt man sich fast am Sonntagnachmittag auf dem Wannsee, so dicht ziehen die weißen Segel und schnellen Motorboote vorbei. Je näher Stockholm kommt, desto mehr Ferienhäuschen und -häuser sitzen auf den Felsen, desto mehr Boote liegen in den Buchten, desto voller werden die Häfen.
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57° 57' 11'' N, 16° 48' 11'' E
Gerade erst das Ruder repariert, gerade erst mit viel Wind und mithilfe des halben Hafens angelegt (mal wieder der Propeller, aber schweigen wir lieber davon), gerade erst Regen und Kälte getrotzt, und schon ist es auf einmal Sommer in Schweden, scheint die Sonne den ganzen Tag, liegen die Temperaturen weit über 20 Grad, weht nur noch eine leichte Seebrise an der Ostküste zwischen Tjust und Gryts Skärgard.
Durch das Schärenfahrwasser tuckern die Boote, biegen ab in Buchten, zu unzähligen natürlichen Häfen. Zwischen den kleinen und größeren Inseln lässt es sich gut und sicher ankern oder anlegen oder ankern und anlegen. Letzteres bevorzugen die Schweden, denn so braucht man weder ein Gummiboot aufblasen noch an Land paddeln. Allerdings sollte man wissen, an welcher Stelle das Wasser vor der Schäre tief genug ist.
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57° 45' 27'' N, 16° 39' 5'' E
Es donnert in der Ferne, es regnet in der Sonne, das Außenthermometer zeigt 25 Grad, aber wohl nur, weil der Fühler direkt beschienen wird. Wir schaukeln am Steg und warten auf den Kran.
Resilienz beschreibt in der Werkstoffphysik eine Eigenschaft von Stoffen, die nach Momenten extremer Spannung wieder in den Ausgangszustand zurückkehren. Die Psychologie verwendet den Begriff, um die seelische Widerstandsfähigkeit in Krisen zu beschreiben. Gemeinhin gilt Resilienz als wünschenswert, der Grundstock wird in der Kindheit gelegt, Gelegenheiten zur Stärkung bieten sich ein Leben lang.
Wenn einem das normale Leben nicht ausreicht, kann man sich ein gebrauchtes Boot anschaffen, um die eigene Resilienz zu testen und immer weiter auszubauen, denn beim Fahrtensegeln gelten zwei Gesetze:
1. Was kaputt gehen kann, das geht auch kaputt.
2. Wenn etwas kaputt geht, dann auf jeden Fall am Freitagnachmittag.
Endlich hatte der Wind gedreht, endlich waren wir im ersten Schärengarten angekommen, lagen außen auf einer ehemaligen Lotseninsel und genossen erst die Sonne und dann das Fußballspiel. Vor der Weiterfahrt am nächsten Morgen ist ein Tauchgang nötig. Nur zur Sicherheit, das Steuer ruckelte so eigenartig. Die Neuigkeiten, die der Kapitän aus der kalten Ostsee mitbringt, sind alles andere als gut: Das Ruder hat sich geteilt, hängt nur noch lose zusammen. das Boot muss aus dem Wasser. Wo ist die nächste Werft, wo ist der nächste Kran?
Das ist nicht schwer herauszufinden, und die nächsten Tage in Västervik bieten uns viele Möglichkeiten unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken (frei nach den sieben Resilienzfaktoren).
1. positive Einstellung: ein Kran wird kommen, ein Monteur wird Zeit haben
2. vorbereitet sein: siehe oben, was kaputt gehen kann …
3. Akzeptanz der Realität: mindestens eine Woche Urlaub auf der Werft
4. lösungsorientiert denken: Reparaturdauer, alternative Urlaubsplanung
5. sich nicht als Opfer fühlen: schwierig, denn gemein ist das schon, aber Lachen hilft
6. keine Schuldzuweisung: dabei hätte es genügend Kandidaten gegeben
7. Nutzen von sozialen Netzwerken: okay, zumindest wisst ihr nun Bescheid
und wir wachsen weiter einige Meter über dem Wasser, haben den Überblick und ein doppeltes Ruderblatt.
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57° 4' 16'' N, 16° 51' 18'' E
Wind pfeift in der Reling, Regen prasselt auf das Deck, eine Böe zerrt an den Leinen.
Die vielen Windmühlen auf Öland hätten uns eigentlich warnen sollen. Wo Windmühlen sind, gibt es Wind — eher häufig und nicht zu knapp. Eigentlich gar nicht schlecht zum Segeln, wenn es da nicht das Problem mit der Richtung gäbe. Gegen den Wind ist nämlich Essig mit Segeln, und zwar nicht nur, wenn der Wind direkt von vorn kommt, sondern auch bei 40 Grad Abweichung nach rechts oder links, also fallen von den 360 Grad der Windrose schon mal 80 Grad weg, denn bei viel Gegenwind macht auch die Motorfahrt nur wenig Spaß — zum einen rumst es gewaltig, wenn der Bug auf die Wellen aufschlägt und zum anderen ist das ewige Hoch und runter wenig magenfreundlich.
Inzwischen liegen im kleinen Hafen von Sandvik sechs deutsche Boote, die auf den richtigen Wind zum Sprung nach Norden warten. Die verschiedenen Wetterberichte werden ausgetauscht, Wind und Wellen betrachtet und die Weiterfahrt auf den nächsten Tag verschoben, und wieder auf den nächsten und noch einmal. Sofern der Wind nicht gerade die nächste Regenfront mitbringt, ist es ja auch ganz gemütlich, an Boje und Schwimmsteg zu schaukeln, Zeit zum lesen und Boot putzen zu haben und lange zu schlafen. Oder die Gegend zu erkunden. Immerhin gibt es drei Restaurants zur Auswahl, täglich frischen Fisch und Kuchen, besagte Windmühlen und ständig wechselnde Wolkenformationen.
Nach drei Tagen kennt die Seefrau das Angebot im gut sortierten Supermarkt, und der Kapitän hat die anderen Segler kennengelernt. Morgen soll der Wind drehen, Sonne gab es heute schon.