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60° 9' 13'' N, 24° 56' 51'' E
Schlanke Rümpfe gleiten elegant durch flaches Wasser, schwarze Motoryachten lassen James-Bond-Feeling aufkommen, poliertes Holz glänzt mit Edelstahl um die Wette, und dazwischen bewegen sich Boote jeglicher Größe, jeglichen Alters und jeglicher Fortbewegungsart.
Come sail your ships around me …
Seit Tagen beschert ein Hoch mit Wind von Osten Helsinkis vielen Häfen schönste Sommertage und kühle Nächte und alle, wirklich alle nutzen noch einmal das vielleicht letzte sommerliche Wochenende für eine Fahrt auf die Schären, die vielen Felseninseln.
Vom Vereinssteg auf Skifferholmen haben wir den besten Blick auf die Stadt, die vielen Vereinsanleger, die voll besetzten Cafés. Nach der baltischen Ruhe und Einsamkeit brauchen wir Zeit für die Umstellung, putzen das Boot und genießen die Sonne.
Mit einer kleinen Fähre geht es hinüber ans Stadtufer und wieder zurück. In den Parks spielen Musiker, in Restaurants gibt es Sapas, die finnische Variante der spanischen Tapas, in den Auslagen Designmöbel und -kleidung.
Der Kapitän hat dafür keinen Blick, er muss sich um Gas für den Kocher kümmern. In Europa ist der Euro mehr verbreitet als ein einheitliches Gassystem. Fast in jedem Land gibt es andere Anschlüsse, werden mitbrachte Flaschen nicht wieder gefüllt. Kein Problem auf einer kurzen Reise, da reicht eine Flasche zum Wechseln, doch die ist nun auch leer, und da die Seefrau morgens ihren Cappuccino braucht, ist guter Rat beziehungsweise auch ein neues System teuer, falls der erforderliche Anschluss überhaupt aufzutreiben ist.
So lernen wir die Helsinki gut kennen, zu Fuß und mit dem Fahrrad, lassen uns von den entspannten Finnen anstecken, sitzen im Sonnenschein in Cafés und überlegen, ob wir nicht auch den nächsten Urlaub in den finnischen Schären verbringen sollten.
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59° 26' 55'' N, 24° 43' 52'' E
Die Boje versinkt im Wasser, das Schiff schnellt nach vorn zum Schwimmsteg, wird kurz davor zurückgerissen, schwingt zur einen, dann zur anderen Seite, pendelt langsam aus. Alle Stunde läuft eine Schnellfähre aus Helsinki in Tallinn ein und bringt Bewegung in den gerade eröffneten Port Noblessmer.
Wir liegen an einer Baustelle. Rechts bröckelt der Beton am alten Marinekai, links löst sich der Putz der verlassenen Fabrikhalle, in der ein Küchencontainer des Café Noble steht — ein Provisorium mit Stil, Loungechairs und gutem Essen. Auch hören wir hier den Sandstrahler der Werft nicht mehr. An entkernten Hallen vorbei geht es durch einen Park zur Uferpromenade oder zur Altstadt.
Gebaut wird viel in Tallinn in diesem Sommer, über und in der Erde, selbst im mittelalterlichen Stadtkern rattern Maschinen, leuchten Fassaden frisch verputzt, glänzen Informationsschilder zur Architektur an den Hauswänden. Innen ist es dunkel, wird gebrutzelt und gebacken, Kaffee geröstet und Schokolade gerührt. Nicht nur unsere Augen bekommen reichlich Futter, auch für die Gaumen ist gesorgt.
Außerhalb der Mauern des mittelalterlichen Weltkulturerbes wird an der jungen Stadt gefeilt, spielen Kinder in großen Parks, genießen Jung und Alt die ungewöhnlich warmen Sommertage, stehen alte, russische Holzhäuser an neu asphaltierten Straßen, warten schmucklose Betonbauten auf helle Holzverschalungen, und an der alten Stadtmauer wird eine Tafel zu Ehren Boris Jelzin angebracht, der als russischer Präsident für die Unabhängigkeit Estlands eintrat — so steht es dort in Estnisch, Englisch und Russisch
Über den Dächern von Tallinn schauen wir aufs Meer.
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59° 24' 8'' N, 24° 12' 14'' E
Der Wind hat den Vormittagsregen vertrieben, lichtblau wölbt sich der Himmel über Bucht und Kiefernwald bei Lohusalu. Ein Wrack rostet zwischen Steinen, die nur ein Riese vor Urzeiten ins Wasser geworfen haben kann. Am Horizont zwei Segler. Heute wird der Hafenmeister wohl noch mehr Gastflaggen hissen — bei höchstens einem Boot pro Land im Hafen wehen die Fahnen ganz individuell für jedes Schiff.
Um Flaggen kommt man beim Segeln nicht herum. Pflicht sind die Heimatfahne, am Heck und die Gastlandsflagge am Mast steuerbords. An Backbord flattern Vereinswimpel und hie und da kreuzen auch Piratenflaggen auf der Ostsee. In den skandinavischen Ländern weht die Nationale am Heck häufig so groß, dass die untere Spitze bis ins Wasser reicht, und bei Sonnenuntergang wird eingerollt und eingeholt. Ein Brauch der Marine, der aus Zeiten stammt, in denen man teures Tuch schonen musste.
Ich habe ein eher ambivalentes Verhältnis zur Nationalflagge, selbst auf Drängen der Kinder klemmte im Fußballsommer kein Fähnchen am Auto. Lange Zeit lebten wir gut mit einer schon recht verblichenen Flagge des Vorbesitzers am Heck der Volver. Irgendwann waren die Farben kaum noch zu unterscheiden, und der Kapitän erstand eine neue, recht kleine Fahne, die dann fröhlich am Achterwand flatterte, bis der Wind die Ecken zerschliss. Nun sind wir bei eine mittleren Größe angelangt, die Patrouillenboote und Zoll auch auf einige Entfernung erkennen.
Und als der Hafenmeister in Lohusalu, kurz nachdem wir angelegt haben, noch einmal herauskommt und die deutsche Flagge hochzieht, freuen wir uns über die nette Geste ebenso wie über das “Welcome", die freundliche Begrüßung nach einem langen Segeltag, den wir zu dritt verbracht haben, denn im letzten Hafen ist ein weiterer Seemann an Bord gestiegen, um sich vom Märchenland bezaubern zu lassen.
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58° 57' 31'' N, 23° 31' 37'' E
Allein auf dem Meer, freie Auswahl im Hafen. In Estland ist die Saison Mitte August vorbei, wenn in Schweden und Finnland die Schulferien enden. Mit 1,3 Mio. Einwohnern lassen sich die Häfen nicht füllen, auch nicht mit den wenigen deutschen Booten, die jetzt noch unterwegs sind.
Dick eingepackt segeln wir bei Sonne und kaltem Wind in der Einsamkeit, die nur ein Patrouillenboot der estnischen Grenzkontrolle durchbricht, um nach last port, next port und persons on bord zu fragen und gute Weiterfahrt zu wünschen.
In Lõunaranna begrüßt uns der Hafenmeister am Steg und schenkt Bier aus. Bad und Toilette teilen wir uns nur mit einer Gruppe von lettischen Anglern, die hier campen. Schaukeln schwingen verlassen im Wind, Holzbänke leuchten frisch geputzt, Gras glitzert feucht vom letzten Regen, am Strand stehen noch Steintürme abgereister Kinder und am Horizont taucht ein Regenbogen auf.
Wenn man nicht unbedingt Badewetter braucht, gegen Regengüsse und kältere Temperaturen gewappnet ist — was allerdings auch im Juli auf der Ostsee von Vorteil sein kann —, hat die Nachsaison hier oben im Norden durchaus ihre Vorteile. Kapitän und Seefrau können morgens ausschlafen, weil wir nicht spätestens um vier im nächsten Hafen sein müssen, um noch einen Liegeplatz zu bekommen. Jeden Tag beobachten wir mindestens drei interessante Wetterphänomene, reffen Segel, holen sie mehrmals rein und wieder raus, und am Abend warten als Belohnung die Stille und das wunderbare Licht der tief stehenden Sonne auf uns.
Auch in den drei Jachthäfen in Haapsalu sind die Gaststege leer bis auf die Möwen, und auf unserer Reling lassen sich Schwalben nieder. An der verlassenen Theke des Hafens findet sich eine nicht völlig falsche Beschreibung unseres Tagewerks auf estnisch und in der englischen Übersetzung. Purjetamine klingt genau so wie das, was wir erleben.