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52° 27' 34'' N, 13° 18' 34'' E
Reif liegt auf den Scheiben der Autos, auf Vorgartenbeeten und den ausgebrannten Feuerwerkskörper. Erstaunlich still ist es am Neujahrsmorgen, verlassen die Wege, ein guter Augenblick für Wünsche, die guten zum Neuen Jahr und die hoffnungsvollen fürs Neue Jahr.
Wenn ich mir was wünschen dürfte …
„Der Wunsch ist ein Begehren, das jemand bei sich hegt oder äußert, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird”, so steht es im Duden. Wünsche haben stets etwas Irreales, sie richten sich in die Zukunft, die häufig dunkel ist wie der Zuschauerraum im Theater, bevor sich der Vorhang hebt.
In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat … so beginnen viele Märchen. Kinder glauben oft daran, dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn sie nur fest genug wünschen — was zu Weihnachten manchmal auch der Fall ist. Erwachsene nennen ein solches Denken Affirmation, es gibt sogar Bücher mit Anleitungen zum richtigen Wünschen — und tatsächlich klappt es sogar manchmal, denn das haben Wünsche nun mal an sich: Sie gehen ab und zu in Erfüllung.
Schaden können Wünsche jedenfalls nicht, das wunschlose Glück aber ist ein Phantom, die Jagd danach der sichere Weg ins Unglück. Warum sollten wir auf Begehren, Verlangen, Streben und Sehnsucht verzichten und auf das Glück, jemandem einen Wunsch zu erfüllen — wobei sich im günstigsten Fall Glück im Doppelpack ergibt?
Wenn ich mir also was wünschen dürfte, und irgendjemand im Universum das hört, dann wünsche ich mir für 2014 etwas Glück für jeden, glückliche Sekunden, Minuten, vielleicht sogar Stunden. Ich weiß, das ist viel, aber ich würde mich wirklich darüber freuen — versprochen.
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52° 29' 38'' N, 13° 19' 34'' E
Kalt pfeift der Wind am Eingang zur Kirche, in dicken Jacken und Mützen steht ein kleines Häuflein Musikbegeisterter schon eine Stunde vor Beginn vor den hohen Türen.
Von Lagunen und Fjorden …
Advent ist die Zeit der Konzerte, alle Chöre der Stadt und viele Chöre aus aller Welt haben ein Weihnachtsprogramm, und zwischen all den Kantaten, Oratorien und Messen ist mir die gewagte Kombination aus Vivaldi und neuer nordischer Chormusik aufgefallen. Deshalb frieren wir hier und ergattern gerade noch zwei Plätze am Rand, direkt neben den Heizungsgittern im Boden, aus denen zumindest bis zum Konzertbeginn noch warme Luft strömt, denn trotz der vielen Menschen, die singen, musizieren und lauschen ist die Kirche am Hohenzollernplatz wie alle Kirchen recht kühl.
Schon immer gehörte für mich zu Weihnachten auch Musik, zu allererst Weihnachtslieder natürlich, meist in der Kirche, in die wir am Heiligabend das einzige Mal im Jahr gingen. Zu Weihnachten bekam ich auch meine erste Platte, „Lieder unserer Zeit in Licht und Schatten”, von denen mir „Die Moorsoldaten” und „Johnny Tambour” noch in Erinnerung sind- Wahrscheinlich wurde damals der Grundstein zu meiner Vorliebe für eher melancholische Melodien und Texte gelegt, fröhlich war kein Lied auf der Platte. Die LP war ein Sampler, dessen Erlös komplett ans Deutsche Rote Kreuz ging, es war eben Weihnachten.
In der Oberschule hörten wir im ansonsten eher faden Musikunterricht jedes Jahr zur Adventszeit das Weihnachtsoratorium von Bach, alle sechs Teile mit den Noten auf den Knien, von denen Frau B. extra einen Satz angeschafft hatte. Nicht alle waren begeistert, aber mir gefiel es, gefällt es bis heute, sehr zum Unmut meiner Kinder, die weder jauchzen noch frohlocken, wenn Arien und Chöre durchs Haus schallen. In die Oberschulzeit fällt auch die Uraufführung der „Weihnachtskantate für junge Leute” 1972 in unserer Aula. Der RIAS schnitt das Konzert mit, das auf Platte gepresst wurde und sogar als Schmuggelgut in die DDR gelangte. Was waren wir stolz, in den Jubel ganz modern auch Zweifel eingebracht zu haben.
Vierzig Jahre später präsentiert der Hugo-Distler Chor die gewaltigen Lobpreisungen Vivaldis, dann tönen zartere Klänge durchs Kirchenschiff. Oslo Voices singen Worte, die ich nicht verstehe. Ganz wunderbar ist es dennoch, stärker die Stimmen, glasklar und doch miteinander — warm wird mir, so einfach kann Glück sein.
Jul, jul, strålande jul!
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6° 28' 51" N, 80* 0' 18" E
Blitze zucken im Osten, Donner grollt, auf einen Schlag öffnen sich alle Schleusen, schüttet es Wasser kübelweise auf lehmrote Erde, Gras und Bambus. Eine Stunde prasseln dicke Tropfen auf Wege und Treppen, so laut, dass wir fast schreien müssen, um uns zu verständigen.
Wir, das sind zwei weit über achtzigjährige Damen, vor deren Mut und Ausdauer ich das Nesselhäubchen zücke, eine Schweizerin auf viermonatiger Weltreise, die hier Geburtstag feiert - was uns nicht ganz kurgemäss Schokoladenkuchen zum Nachtisch beschert -, sowie der Mann und ich, die Neulinge aus Berlin.
Fünf also. Fünf, die morgens um acht grüne Suppe löffeln.
Fünf, die Ölgüsse bekommen und mit Milchreispäckchen gestempelt werden.
Fünf, die mittags Gemüse essen - ein scharfes, ein saures, ein bitteres und eines mit neutralem Geschmack.
Fünf, die am Nachmittag Kräutertee trinken und die Ruhe genießen, obwohl es im Garten eigentlich nie ganz still ist: Vögel gurren, tschilpen, kollern; Flughunde kreischen; Tuktuks und Busse hupen und rumpeln durch die Kurven; Buddhisten singen und Muslime rezitieren und am Abend pfeift die Orgel des Brotverkäufers.
Ein Konzert, das nie zu Ende geht, uns fünf am Tag und in der Nacht begleitet, wenn wir nach dem unermüdlichen Umsorgtwerden die elektronischen Geräte zücken, um zu erfahren, was im Rest der Welt geschieht.
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6° 28' 51" N, 80* 0' 18" E
Öl auf der Haut, im Haar - ein Fest für Fliegen und Mücken - sitzen wir massagematt auf der Terrasse, tragen wie Jünger eines sonderbaren Kults das Haupt mit Nesseltuch bedeckt und trinken bitteren Tee. Im Teich nebenan plätschert der Brunnen, über uns knistern die Fächer der Palmen und der Muezzin ruft per Lautsprecher zum Gebet. Auf der Feuchtwiese grasen Kühe, ein Waran wuselt durchs Gras, Vögel plustern sich auf und flüchten auf Zimtbäume.
Der Garten im Seetharama auf Sri Lanka ist ein Idyll, doch man täusche sich nicht: Eine Panchakarma-Kur ist kein lauer Wellness-Urlaub. So eine Grundreinigung fordert die ganze Frau und den ganzen Mann, obwohl außer essen, trinken und Massagen genießen eigentlich nichts zu tun ist.
In den ersten Tagen muss der Entzug bewältigt werden - grüne Suppe und heißes Wasser am Morgen sind nun mal kein Ersatz für Kaffee. Mein Schädel brummt, der Blutdruck fällt ins Bodenlose, der Kollaps naht, wohl auch wegen der troüisch schwülen Luft. Drei Tage, einige Kräuterdrinks und braune Pillen später misst die Ärztin einen Bilderbuchblutdruck.
Ein Wunder, doch noch ist das Tal der Leiden nicht durchschritten, ächzt und stöhnt es in den Knochen, die sich nur mühsam fortbewegen. Manches Mal möchte der Mann nach Hause, manches Mal frage ich mich, ob die Idee einer Ayurveda-Kur wirklich so gut war. Frage mich nicht mehr, sobald ich morgens den Behandlungspavillion betrete und mich kundigen, leicht rauen Händen überlasse. Kopf, Gesicht, der ganze Körper synchron mit vier Händen und zum Abschluss ein Kräuterbad unter freiem Himmel.
Ein paar Schritte hinaus aus unserem Garten haben wir auch schon gewagt, langsam und ganz gemächlich wie alle hier.