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59° 19' 35'' N, 18° 5' 36'' E
Genug der Schäreneinsamkeit, der Wahnsinnsnatur, wohin man auch blickt. Der Wind steht günstig für die Überfahrt nach Schweden. Die fünfte Länderküste, Ålands Inselwelt, bleibt zurück — Stunden später taucht Schweden auf, ebenfalls mit vielen Inseln und doch ganz anders.
Bäume, dicht an dicht, in jeder Bucht Stege oder Boote vor Anker. Auf dem Meer Segler und Motorboote, große und kleine Fähren. Zwar blitzt es auch hier schon herbstgelb und leuchtend rot in den Wäldern, aber noch ist milder Septembersommer, sitzen Leute in der Abendsonne auf den Felsen und schauen aufs Wasser. Stunde um Stunde umrunden wir eine Insel nach der anderen, fahren mal nach Süden und dann wieder nach Westen auf breiten und nicht so breiten Fahrwassern.
Im Wasahamnen, mitten in Stockholm, legen wir ein paar Tage an, muss der Kapitän nicht mehr auf Wetter und Wasserstände achten, genießt die Seefrau nach kargen Schärentagen städtischen Komfort. Boot und Kleider werden gewaschen, der leere Kühlschrank gefüllt, und warmes Wasser prasselt köstlich auf Haut und Haar.
Am Strandvägen flanieren Menschen, lassen sich auf den Treppen zum Hafen nieder, Schärensegler aus poliertem Holz in jeder Größe und Ausstattung laufen ein — es ist Bootstag mit Regatta, Siegerehrung und Festessen. Am Kai stehen Oldtimer, werden Hot Dogs und Lakritzschlangen verkauft, nebenan stehen die hohen Masten der Rummelatraktionen, schraubt sich blinkend das Kettenkarussell in schwindelnde Höhen.
Für den ersten Tag ist uns die Djurgårdeninsel genug, der Rest von Stockholm muss warten — allerdings nicht das leckere Essen im Wårdshuset, mit dem sich die skandinavische Küche endgültig einen Platz in Herz und Magen erworben hat.
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59° 49' 42'' N, 21° 35' 6'' E
Am Rande des Schärenmeers, zwischen 2000 Inseln, ist es still, ab und zu braust der Wind, schüttelt Schiff und Crew durch, sonst kein Laut, nirgends.
Der Hafen auf Jurmo hat Platz für achtzig Boote —im Sommer reicht das kaum, Anfang September liegen zwei am Steg. Strom gibt es nicht, die Duschen sollen eventuell offen sein, die Trockentoiletten sowieso, erzählt das finnische Seglerpaar, das gerade aus Schweden kommt und uns Tipps für die Weiterfahrt gibt. Mit etwas Glück finde man noch offene Serviceeinrichtungen in finnischen Häfen, viel Platz gebe es überall und unique nature.
Auch Jurmo ist Natur pur, ohne Ablenkung. Natur zum Sattsehen, Sattfühlen, Sattschmecken. Flach und felsig ist es, Heidekraut wächst und roter Storchschnabel. In den wenigen Häusern rührt sich nichts, auf den Wegen sind wir allein, und auch die Stegnachbarn sind samt Hund in ihrem Boot verschwunden. Nur am Himmel finden die vielen Sterne kaum Platz.
So lonely …
Am nächsten Tag haben wir das Meer für uns, doch was soll schon passieren? Tanks und Batterien sind gut gefüllt, Konserven ausreichend vorhanden. Zum Glück, denn auch am Ende eines engen Sunds — der dem Kapitän in der funkelnden Sonne die Schweißperlen auf die Stirn treibt —, liegt kein lebendiges Städtchen Karlsby, sondern ein Geisterhafen, in dessen verlassenem Restaurant offene Fenster klappern. An der Tankstelle gibt es weder Diesel noch Benzin; fünf vor fünf reicht die Zeit gerade noch, um Bier zu kaufen, dann schließt auch die Butik. Einen Northern könnte man hier gut drehen, mit einsamen Seglern auf der Suche nach … irgendwas oder irgendwem.
Unsere Zeit in Finnland geht wohl zu Ende.
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59° 51' 48'' N, 22° 25' 18' E
Nebelschwaden fallen filmreif in Hanko ein, mitten am Tag verschwinden Boote und Stege, Bäume und Häuser. Kaum eine Viertelstunde später ist der Spuk vorbei, strahlt die Sonne zwischen Wolken in allen Grauschattierungen.
Go west …
Jede Menge Wetter gibt es auf dem Weg nach Westen. Neben die mässig verlässlichen Berichten verschiedener Wetterdienste helfen der Blick des Kapitäns in unterschiedlichste Wolkenformationen und die Kopfschmerzen der Seefrau, die ebenso präzise wie ein Barometer einen Druckabfall vorhersagen.
Gut geschützt von Winden jeglicher Richtung und Stärke liegen wir am Schwimmsteg auf Rosalalandet, wo Kaufmannsladen und Boote bereits winterfest gemacht werden. Seit der Kapitän im letzten Hafen einem Einhandsegler beim Anlegen geholfen hat, sind wir glückliche Besitzer des Käyntisatamat, eines Handbuchs für finnische Gästehäfen, dessen Herausgeber der dankbare Segler ist. Das erleichtert die Wahl bei 1992 Anlegemöglichkeiten. Wobei die Auswahl natürlich schon durch unseren Weg eingeschränkt ist, und die ganz idyllischen Plätze angesichts der doch kühleren Abende und unklaren Wetterlage auch wegfallen, doch es bleiben noch verwirrend viele rote Segelboote — Gästehäfen, Servicehäfen oder einfach Anleger — auf der Karte, die wir anlaufen könnten.
Das Barometer fällt tief. Zeit zum Aufräumen, Putzen und für einen Landgang. Über den Wipfeln finnischer Kiefern und Birken pfeift der Wind aus Westen.
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59° 58' 2'' N, 24° 26' 45'' E
Dicht unter der Wasseroberfläche spitze Felsen, Schaumkronen an kupferbrauner Stein, duftende Kiefern auf großen und kleinen Inseln. Ein wilder, weiter Garten im Wasser, abgesteckt mit roten und grünen Stangen.
Auf Wiedersehen, Helsinki, das uns lieb und teuer geworden ist (über den Preis für das glücklich erworbene Gas schweige ich besser). Der dritte Seemann ist von Bord gegangen, zu zweit ziehen wir nach Westen entlang der Schärenküste, dem Herbst entgegen. Unwiderruflich geht es zurück, und wir reisen immer langsamer an wunderbar sonnigen Tagen. Ungewöhnlich heiß sei es um diese Zeit, sagen die Finnen — so ein Glück.
Noch genießt der Kapitän das morgendliche Bad im Meer, noch wärmt sich die Seefrau an nordischer Sonne, noch gibt es frische Zimtbrötchen zum Frühstück. In ein paar Tagen schließen die kleinen Häfen mit Kiosk und Sauna, am Himmel treiben erste Wolken, und wir segeln unbeirrt zwischen den Inseln, schauen auf Häuschen, Stege und Bänke.
Langweilig kann es sowieso nicht werden, die finnischen Seekarten gleichen Wimmelbildern, die mit dem dreidimensionalen Bild draußen ununterbrochen abgeglichen werden müssen. Oder umgekehrt: Vor unseren Augen wimmelt es nur so von Schären, Felsen und Stangen, die auf Karten und Plotter erst einmal gefunden werden wollen. Nach zwei Tagen ist die Aufregung gespannter Aufmerksamkeit gewichen, wagen wir Segelmanöver — denn was gibt es Schönes, als beinahe lautlos an Schären vorbeizugleiten?