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58° 14' 41'' N, 22° 28' 24'' E
Turmhohe, dunkle Wolkenberge über der Rigaer Bucht, Blitze zucken in indigoblauer Ferne — als Naturschauspiel beeindruckend, aber auch beängstigend auf einem Boot, dessen Mast im weiten Umkreis die höchste Erhebung ist. Noch scheint die Sonne, doch die erst Bö zerrt schon am Groß.
Also Segel runter, umdrehen und unter Motor gegen die Wellen in den nächsten Hafen. Über Mõntu sind schon viele Stürme hinweggefegt, ein Schwimmsteg verrottet zerbrochen im Wasser, der andere liegt in Einzelteilen an Land, doch wir finden einen Platz an der blanken Kaimauer und lassen Regenfront nach Regenfront über uns hinwegziehen. Die Halbinsel Sõrve wirkt verlassen, neben dem Hafengebäude erinnert ein Gedenkstein an die Opfer unter der estnischen Bevölkerung bei den heftigen Gefechten zwischen deutschen und russischen Truppen im Zweiten Weltkrieg. Vierzehn Dörfer gibt es nun nicht mehr.
Am Morgen nutzen wir ein ruhigeres Wetterfenster, um in den nächsten, geschützteren Hafen zu gelangen. Wieder begleiten uns schwarze Wolken, steuert der Kapitän unter Seitenwind im engen Fahrwasser den Hafen an, müssen vier Mann das Boot an den Steg ziehen, während die Seefrau versucht, nicht in Panik zu verfallen im Chaos aus Wind, Leinen und Heckbojen. Im Kuressaare Sadam warten mit uns noch zwei andere Segler auf das Abflauen der starken Westwinde, ansonsten ist der Hafen der größten Stadt Sareemaas beinahe leer trotz Superservice.
Zu Fuß gelangen wir ins Städtchen durch den Kurpark, vorbei an Holzhäusern, die mich an Puppenstuben erinnern und zwischen denen der Wind nicht mehr so pfeift. Soll er doch draußen toben, wir bleiben hier bei Wildschweinburgern und gefüllten Eierkuchen. Abwettern, abwarten und Wein trinken.
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56° 53' 24'' N, 21° 9' 6'' E
Das Meer wäscht uns rund, Wind fegt den Kopf frei — Samtsand unter den Füßen.
Etwa in der Mitte der 500 km langen Ostseeküste Lettlands liegt der kleine Ort Pavilosta mit zwei Cafés. einem Supermarkt, einem Museum und zwei kleinen Hafenanlagen. Im Sommer gesellen sich zu den etwa 1000 Einwohnern Gäste in Ferienhäusern, Zelten und Wohnmobilen, sowie von Zeit zu Zeit auch eine Schiffscrew, die Ruhe sucht und an den langen Sandstränden findet.
Geheimtipp unter Seglern zu sein, ist sowohl Segen als auch Fluch der örtlichen Wirtschaft. Neben dem Tourismus setzt man deshalb auf Holzbootsbau und Fischkonserven. Doch wen es wie uns hierher verschlägt, der bleibt gerne ein paar Tage am schönsten der drei lettischen Häfen an der offenen See. Alles Nötige erhalten wir beim freundlichen, hilfsbereiten Hafenmeister, der als Kind deutsches Fernsehen geschaut hat, sehr gut deutsch spricht und sogar unser Seemädchen in die nächste Stadt zum Bus nach Riga fährt, denn auch sie verlässt uns hier. Im Regen, wie es sich für einen Abschied gehört.
Mehr als vier Wochen sind wir nun unterwegs, ein gutes Drittel unserer Reisezeit. In einem normalen Sommer wären wir schon auf dem Rückweg, dieser Sommer ist weit wie das Meer, und das Ziel besteht längst nicht mehr aus den einzelnen Etappen, ist nicht in Seemeilen zu messen, sondern in Augenblicken, Welle für Welle.
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56° 31' 34'' N, 20° 58' 40'' E
Wehmütig haben Kapitän, Seefrau und ein Seemädchen das zweite Seemädchen zur Fähre nach Rügen gebracht, haben Klaipeda, die Kurische Nehrung und den Geist an der Drehbrücke verlassen. Starkwind soll die nächsten Tage aufziehen und noch ist es ein ganzes Stück bis in die geschützten Gewässer der estnischen Inseln.
Auf spiegelglattem Meer geht es nach Liepaja, das uns reichlich nüchtern am Stadtanleger vor einem großen, düsteren Hotel nahe der breiten Durchgangsstraße empfängt. Nach fünf Tagen Idylle trifft uns der Alltag des Fahrtensegelns, bei dem man nie weiß, was am Ende des nächsten Törns wartet. Das macht ja auch den Reiz des Reisens aus — jeder Tag, jeder Hafen ist anders, und manchmal ist es so schön, dass der Abschied schwer fällt und wir uns nach dem Anlegen am neuen Ort fragen, ob die Entscheidung richtig war.
Das dunkle Hotel im alten Speicher beherbergt nicht nur das Büro des Hafenmeisters, sondern neben modernen Gemälden auch ein gutes Restaurant, in dem außer uns noch eine lettische Großfamilie tafelt. Ich tippe auf Geburtstagsfeier, das Seemädchen auf Verlobung — jedenfalls stehen Sektflaschen auf dem Tisch und alle sind festlich gekleidet. Eine der Frauen setzt sich an den Flügel und spielt, zuerst Klassik, dann Pop.
The winner takes it all …
Schon tanzen Paare zwischen den Tischen, wird die Hintergrundmusik ausgestellt, freuen wir uns am Gratiskonzert.
Da verwundern uns beim nächtlichen Spaziergang auch die blitzenden silbernen Noten im Straßenpflaster nicht, die uns den Weg durch die Stadt weisen zwischen engen Gassen mit Holzhäusern und weiten Plätzen mit großen Bäumen und Blumenbeeten. Mitten in der Altstadt steht eine große, blanke Gitarre und am Wochenende wird ein Rockfestival stattfinden — doch wir ziehen weiter gen Norden mit dem Wind.
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55° 42' 19'' N, 21° 7' 36'' E
An der Kurischen Nehrung kommt das Meer zur Ruhe, geht alles langsamer, können Gedanken zu Ende gedacht werden, ist nicht nur die Außenwelt hell und aufgeräumt. Die Zeit dehnt sich zwischen den Atemzügen.
Wir machen Pause in Klaipeda, schauen den Brautpaaren zu, die sich im Hafen in Pose stellen, sich auf dem Steg tief in die Augen sehen, sich vor Segelbooten küssen.
Wir machen Pause in Litauen, lauschen der melodischen Sprache, für die gekämpft wurde, deren Märchen und Lieder ein wichtiger Teil der nationalen Identität Litauens sind, für die Bücher heimlich gedruckt und geschmuggelt wurden. Vierzig Jahre lang war im 19.Jahrhundert der Druck litauischer Schriften in lateinischen Buchstaben verboten, gab es offiziell nur Bücher in kyrillischer Schrift. Seit der Unabhängigkeit wird der 7. Mai als Tag des Buchs gefeiert. Eine junge Nation ist Litauen — im Aufbruch, suchend und findend.
Wir machen Pause in der restaurierten Altstadt mit mittelalterlichem Kopfsteinpflaster, am Hafen mit den neuen Stegen um die alte Festung, an der alten Drehbrücke mit den neuen Bronzefiguren, am Restaurant an der Däne, wo man zu Cocktails und Mutters Vorspeisen Techno-Beats vom DJ hört.
Und wir machen Pause in Nida zwischen den Bilderbuchhäusern mit Märchengärten, zwischen Ostsee und Haff, zwischen Kiefernwäldern und Dünen, sitzen auf einer Bank am Ufer — der Blick geht weit hinaus aufs Wasser, wie silbrige Seide kräuseln sich die Wellen.
Wir machen Pause.